Dominanz -                                          oder wer ist hier der Boss?

Immer wieder höre ich Sätze wie:

"...meinem Hund muss man erst die Dominanz abgewöhnen...".

oder

"...der Hund muss erst noch lernen, sich unterzuordnen...".

oder

"...der Hund denkt, er wäre der Chef bei uns...".

 

Es stimmt nicht, dass Dominanz eine Charaktereigenschaft ist, die ein Hund anstrebt. Er ist weit davon entfernt, ein "Chef" sein zu wollen. Dies ist doch eher ein menschliches Bestreben.

 

Es stimmt, dass Hunde in unseren Familien Beständigkeit, Rituale, Bindung und auch ein gewisses Mass an Führung brauchen, nicht nur um sich wohl zu fühlen, sondern auch für ein harmonisches Miteinander.


Die Dominanztheorie hat ihre eigene Geschichte

 

Die Dominanztheorie ist ein Konstrukt oder ein Arbeitsmodell, welches zum Ziel hat, Interaktionen zwischen Individuen der gleichen Art in der Konkurrenz um Ressourcen zu beschreiben, zu erklären und vorherzusagen. Die Ursprünge der Dominanztheorie gehen zurück ins frühe 19. Jahrhundert. Pierre Huber entdeckte erstmals Rangordnungen bei Hummeln.

 

1922 untersuchte Schjelderupp-Ebbe die Theorie an Hühnern und wandte sie damit auf Wirbeltiere an. Hühner bilden eine einfache, lineare Hierarchie (Hackordnung). Im Jahr 1949, am Ende des 2. Weltkrieges, wird die Hackordnung als Mechanismus sozialer Dominanz festgeschrieben.

Später, in den 60er und 70er Jahren, wurde in der Primatenforschung beobachtet, dass die Ausgestaltung sozialer Organisation in Gruppen sehr viel komplexer ist und die Hackordnung nur eine Form, eine Möglichkeit der Organisation des Zusammenlebens in Gruppen bildet.

 

Im ausgehenden 20. Jahrhundert wurde in der Verhaltensbiologie – basierend auf Forschungsergebnissen von Beobachtungen unterschiedlicher Tierarten – festgehalten, dass soziale Dominanz ein vielschichtiges Phänomen und schwierig zu interpretieren ist. Denn Dominanzbeziehungen sind so unterschiedlich wie die Lebensumstände der Tiere.

 

1999 veröffentlichte David Mech, Wolfsforscher, seine Studien über die Entwicklung von Wolfsrudeln. Über Jahrzehnte hat er wild lebende Wölfe beobachtet und widerlegte mit seinen Erkenntnissen das Alphakonzept (dominanter Alphawolf, dominante Alphawölfin) gründlich. Er formulierte den wichtigen und eindrücklichen Satz:
„Wölfe leben in Gruppen, die qualifizierte Demokratien sind!“

Es ist allgemein bekannt, dass Wölfe in Freiheit über ein riesiges Territorium verfügen und sich das Wolfsrudel oft aus eng verwandten Tieren zusammensetzt: Mutter, Vater, Jungwölfe unterschiedlicher Generationen. Das heißt, Wolfsrudel sind in der Regel Familiengruppen, die kooperativ zusammenleben. Es ist nachvollziehbar, dass die Führung bei den Elterntieren als erfahrenste Mitglieder der Gruppe liegt. Diese Aufgabe nehmen sie wahr, ohne die Familienmitglieder mittels „Alphawurf“ oder „Nackenschütteln“ zu disziplinieren. Wölfe, die solche Verhalten zeigen, wollen nicht erziehen, sie wollen Beute machen und/oder töten!

 

Die Studien, welche Dominanz, Rangordnung, Alphawolf, Alphawölfin beschreiben, wurden mehrheitlich an Wölfen in Gefangenschaft durchgeführt. Dazu wurden nicht verwandte Tiere in Gehegen zusammengeführt, um ihr Verhalten zu beobachten. Diese Beobachtungen legten unter anderem den Grundstein für den Umgang mit unseren Hunden.

Dazu ein Vergleich aus der Menschenwelt: Können Sie sich an TV-Sendungen wie „Big Brother“ erinnern. Eine bunt zusammengewürfelte Menschengruppe wurde in einen Container gesperrt und ihr Zusammenleben konnte via TV über 24 Stunden verfolgt werden. Das, was sich gruppendynamisch in diesen Gruppen zeigte, war mehrheitlich ziemlich peinlich, irritierend oder zumindest fragwürdig.

 

Spiegelt das Verhalten dieser Gruppe Ihr Familien- oder Paarverhalten wieder? Kann das Zusammenleben der Kandidaten und Kandidatinnen als stellvertretend für ein „normales“ Leben in Gruppen genommen werden? Wohl eher nicht. Die Umstände und Rahmenbedingungen dieser Wohngemeinschaften waren ja ziemlich speziell und „auf die Spitze getrieben“.

Genauso speziell im Sinne von „unnatürlich“ sind die Lebensbedingungen von Wölfen in Gefangenschaft. Es liegt auf der Hand, dass die Beobachtungen und Interpretationen dieses Wolfsverhaltens nicht als Leitfaden für das Verhalten von Wölfen ganz grundsätzlich und für den Umgang mit unseren Haushunden im Besonderen gelten können. Sie entsprechen nicht den natürlichen Lebensbedingungen der Tiere.

 

Der in der Literatur und in Hundeschulen immer wieder bemühte Vergleich, dass Wölfe Dominanzbeziehungen ausbilden und deshalb auch unsere Hunde Rangstrukturen brauchen, hinkt noch aus einem weiteren Grund.

Wölfe und Hunde gehören zwar zur gleichen Gattung, sind aber unterschiedliche Arten. Sie haben einen gemeinsamen Vorfahren, nicht weniger und nicht mehr. Wölfe und Hunde unterscheiden sich in einigem, und zwar physiologisch wie auch im Sozialverhalten.

 

Welchen Wert bietet nun die Dominanztheorie?

Ist sie ein nützliches Modell für den Umgang mit dem Hund?

Nein, ist sie nicht!


Die Dominanztheorie stellt
a) eine Vereinfachung einer hochkomplexen Interaktionssituation dar und ist
b) auf Grund mangelnder Forschung und eindeutigen, handfesten Daten in den Aussagen ungenau, sie lässt zu viel Interpretationsspielraum offen.

Wissenschaftler der Universität Bristol, Clinical Veterinary Science, kommen auf Grund ihrer Studienresultate an Tierheimhunden zu folgenden Aussagen:  „Hunde sind nicht davon motiviert, ihren Platz in der Rangordnung ihres Rudels zu behaupten. Trainingstechniken, die als „Rangreduktion“ bekannt sind, sind nicht hilfreich. Sie variieren von wirkungsloser Behandlung bis gefährlich und können ein  Verhalten sogar verschlimmern.“

Quelle: Esther Hufschmid, Geprüfte CumCane Trainerin, zert. Trainerin pcf SKN, dipl. Erwachsenenbildnerin, dipl. Supervisorin

http://www.cumcane-familiari.ch/menschen-hunde-wissen/dominanzbeziehung-zwischen-mensch-und-hund-irrtum-oder-tatsache/